„Wir sollten unsere Führungskräfte zugänglicher machen“

Führung in der Spitzenwissenschaft: Interview mit MPG-Vizepräsidentin Asifa Akhtar

Asifa Akhtar ist Vizepräsidentin der Sektion Biologie und Medizin der Max-Planck-Gesellschaft und Direktorin des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigentik in Freiburg. In diesem Interview spricht sie über ihre Zeit als Doktorandin, ihre Karriere und darüber, was heute nötig ist, um Führungspositionen für junge Wissenschaftler attraktiver zu machen.

 

1993 machte Asifa Akhtar ihren BSc in Biologie am University College London und promovierte schließlich 1997 am Imperial Cancer Research Fund (London), im Bereich der Transkriptionsregulation. Sie setzte ihre Arbeit auf dem Gebiet der Chromatinregulation als Postdoc am EMBL (Heidelberg) und am Adolf-Butenandt-Institut (München) fort. Im Jahr 2001 wurde sie Gruppenleiterin am EMBL. Sie und ihr Team untersuchen Chromatin und epigenetische Mechanismen, wobei sie sich besonders auf die Regulierung des X-Chromosoms konzentrieren. Im Jahr 2009 wechselte Asifa Akhtar an das Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg, wo sie derzeit als Direktorin die Abteilung für Chromatinregulation leitet. Asifa Akhtar ist EMBO-Mitglied und Mitglied der deutschen Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Sie erhielt 2017 den Wilhelm-Feldberg-Preis, 2021 den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis und 2022 den Christa-Serić-Geiger-Preis. Seit 2020 ist sie zudem Vizepräsidentin der Max-Planck-Gesellschaft.

 

Christiane Walch-Solimena (CWS): Asifa, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit uns über Ihren Werdegang zu sprechen. Wie Sie wissen, sind die Max Planck Schools ein gemeinsames Graduiertenprogramm verschiedener Universitäten und außeruniversitäter Forschungseinrichtungen für ambitionierte Promovierende. Daher die Frage, wie blicken Sie zurück auf Ihre Zeit als Doktorandin? Und wann hatten Sie das erste Mal das Gefühl: Wissenschaft ist wirklich mein Ding?

Asifa Akhtar (AA): Daran erinnere ich mich sehr gut: Mein Interesse an der Wissenschaft begann während meines Grundstudiums in London. Wir hatten praktische Kurse und verbrachten viel Zeit im Labor - Experimente zu machen war einfach sehr faszinierend. Um ehrlich zu sein, hatte ich keinen klaren Karriereplan im Kopf, außer der Tatsache, dass ich studieren wollte. Am UCL in London hatte ich die Möglichkeit, eine Reihe von Themen rund um die Molekularbiologie zu verfolgen und selbst Experimente durchzuführen - das fand ich einfach super spannend. Selbst banale Experimente, bei denen ich nicht wusste, ob sie funktionieren würden oder nicht, und allein die Tatsache, dass ich etwas in der Hand hatte, war für mich aufregend. Für mich war es schlichtweg das Beste, was es auf der Welt gibt. Und da wurde mir klar, dass die Wissenschaft wirklich mein Ding ist und auch, dass ich promovieren wollte.

 

CWS: Es waren also der kreative Prozess und die praktische Arbeit im Labor, die Sie fasziniert haben?

AA: Ganz genau. Für meine Doktorarbeit bewarb ich mich beim Imperial Cancer Research Fund (ICRF), der jetzt zum Crick gehört. Um dorthin zu gelangen, brauchte ich vor allem zwei Dinge: Durchhaltevermögen und die Fähigkeit, für mich zu werben. Da ich nicht aus Europa stammte, war ich benachteiligt gegenüber anderen Studierenden, so dass für mich sehr wichtig war in einer Organisation zu arbeiten, die einen Teil meiner Ausbildung bezahlen würde. Nach meiner Bewerbung habe ich darauf gewartet, dass man ich entsprechende Rückmeldung erhalte, ob ich in das Programm aufgenommen werde oder nicht. Schließlich habe ich einfach zum Telefon gegriffen, dort angerufen und gesagt: "Hören Sie, ich habe gerade meinen erstklassigen Abschluss und all diese Auszeichnungen erhalten, würde Ihnen das bei Ihrer Entscheidung helfen?" Und durch diese quasi Eigenwerbung - oder vielleicht könnte man es auch rückblickend betrachtet Verzweiflung nennen - habe ich schließlich die Stelle beim ICRF bekommen, die ich wirklich wollte. Als erste Faustregel gilt also: Wenn du es nicht versuchst, wirst du es nicht bekommen. Wenn ich all diese Jahre später darüber nachdenke, denke ich, dass ich sehr viel Mut hatte.

CWS: Das bringt uns zu der Frage, was Sie dazu gebracht hat, durchzuhalten. Viele Menschen durchleben gerade während ihrer Promotion eine schwierige Zeit - wie war das für Sie?

AA: Für mich war es Beharrlichkeit und Eigenmotivation. Der Wille, etwas zu erreichen. Man muss einfach sehr hart arbeiten, um in jedwedem Beruf aufzusteigen. Das war meine zweite Erkenntnis: Wenn ich nicht für mich selbst kämpfe, wird es niemand tun. Im Grunde genommen wird man sich seiner selbst und der eigenen Umgebung sehr bewusst. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich es während meiner Promotion tatsächlich schwerer hatte, denn das hat mir später geholfen, mit Herausforderungen umzugehen. Wenn alles rosig gewesen wäre, wäre es sehr schwierig gewesen, nach dem ersten Rückschlag wieder aufzustehen. Aber von dort, wo ich angefangen habe, konnte es nur aufwärts gehen - so sehe ich es zumindest. Das Problem ist: Es ist nicht leicht, die eigene Stärke zu finden, wenn man die / der Schwächste ist, und deshalb bin ich immer noch sehr dankbar für das herausragende Umfeld, das ich als Doktorandin hatte. Nicht nur die Begegnung mit all diesen wunderbaren Menschen, die bereits all das erreicht hatten, was ein ehrgeiziger Mensch wie ich anstrebte, sondern auch meine Freunde gaben mir die nötige Kraft dafür. Trotz der vielen Herausforderungen hatten wir viel Spaß, und die vielen gemeinsamen Kaffeepausen und Zusammentreffen waren eine echte Bereicherung meines Alltags.

 

CWS: Neben persönlichem Antrieb und Motivation ist Ihrer Meinung nach also auch das Arbeitsumfeld entscheidend?

AA: Ja, das Umfeld ist tatsächlich sehr wichtig, und meiner Meinung nach ist es besser, in einem wettbewerbsstarken Umfeld zu arbeiten, weil man so ein ganz anderes Niveau erreichen kann. Wenn man auf etwas hinarbeitet, treibt man sich selbst auch mehr an. Und aufgrund des kompetitiven Umfelds konnte ich mir bereits während meiner Promotion eine Reihe wichtiger Fähigkeiten und Erkenntnisse aneignen, auf die ich dann zurückgreifen konnte, als ich mich nach Postdoc-Stellen umgesehen habe: Wie geht man mit anderen Wissenschaftler:innen um, wie lernt man aus Misserfolgen und wie arbeiten andere, erfolgreiche Menschen. Wenn man also all diese Erfahrungen mitnimmt, ist man in der Postdoc-Phase letztlich viel besser vorbereitet, als in der Promotionsphase. Schließlich habe ich mich für das EMBL entschieden, weil es eine wirklich gute Adresse und große Organisation mit einem hohen Bekanntheitsgrad ist. Um ehrlich zu sein, dachte ich anfangs, ich hätte einen großen Fehler gemacht, als ich nach Deutschland kam: Ich verstand die Sprache nicht, die Geschäfte schlossen früh ... es war nicht einfach für mich. Aber das EMBL war ein fantastisches Umfeld für mich. Die Leidenschaft meiner Kolleg:innen für die Wissenschaft war es, die mich begeistert hat und in die ich wieder eintauchen konnte. Verbunden mit der Tatsache, dass ich seither wusste, dass ich für mich selbst kämpfen musste, änderte sich mein Weg danach gänzlich.

 

CWS: Wie sind Sie dann zu Ihrer ersten Führungsposition gekommen?

AA: Nach Abschluss meines Postdocs begann ich, mich nach neuen Möglichkeiten umzusehen, und bewarb mich parallel auf verschiedene Positionen. Ich war nicht wirklich voreingenommen, mich nur auf Spitzenpositionen zu bewerben, sondern dachte auch hier oftmals, ich sei nicht gut genug. Nur um dann festzustellen, dass mir schließlich alle Stellen angeboten wurden, auf die ich mich beworben hatte. Unerwarteterweise konnte ich mich also für das Labor am EMBL, in dem ich meinen Postdoc gemacht hatte, entscheiden und folgte damit auf meinen damaligen Supervisor. Für ein Labor verantwortlich zu sein, allen Kolleg:innen gegenüber Rechenschaft ablegen zu müssen, neue Ideen einzubringen - all diese Dinge jedoch waren eine neue Herausforderung für mich, der ich mich in meiner ersten Führungsposition stellen musste. Aus meiner Sicht sind zwei Dinge besonders wichtig, wenn es um Führung geht: Erstens ist es das Beste, vor allem Nachwuchskräften das Gefühl zu geben, dass der Erfolg ihnen gehört; und zweitens muss man als junge Gruppenleiterin lernen, seinem Team zu vertrauen. Das war für mich das Schwierigste. Denn wenn man selbst Experimente durchführt, weiß man, was man getan hat, was schief gelaufen sein könnte usw. Bevor ich aber das Labor leitete, war ich diejenige, die an der Laborbank saß. Zunächst führte ich weiterhin die Experimente selbst durch. Das war meine Art, Projekte voranzutreiben. Aber wenn man nächste Karrierestufen erklimmt, und sich dann zwangsläufig mehr und mehr vom Labor entfernt, ist es wirklich wichtig, den eigenen Mitarbeitenden vollends zu vertrauen. Daher war es enorm wichtig, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich die Leute wohl fühlten. Unser Labor war klein, aber wir haben zusammen gekocht oder gemeinsame Kaffeepausen gemacht. Im Grunde genommen ging es darum, eine Atmosphäre zu schaffen, in der jede:r das Gefühl hat, dass seine Stimme gehört werden kann. Dies schaffte eine Umgebung, in der wir sehr kreativ werden konnten.

 

CWS: Auf Ihrem Weg haben sind Ihnen viele Menschen begegnet, sie haben mit vielen unterschiedlichen Wissenschaftler:innen zusammengearbeitet. Hatten Sie eine Art Mentor:in, der/die Ihre wissenschaftliche Arbeit nachhaltig beeinflusst hat?

AA: Nun, ich würde nicht sagen, dass es nur eine Person gab, auf die ich mich verlassen habe. Eher gab es mehrere Personen, zu denen ich aufgeschaut habe. Es gibt zum Beispiel nicht den einen idealen Weg, ein Labor zu führen. Ich habe mich inspirieren lassen, indem ich mir Feedback von Leuten geholt habe, die sich nicht scheuten, mich zu kritisieren. Und wenn man mit Leuten spricht, die sich in der gleichen Situation befinden, wird einem klar, dass Kommunikation der Schlüssel zum Erfolg ist. Für mich ist das auch der Grund, warum ein Umfeld wie ein Max-Planck-Institut oder ein Ort wie das EMBL so großartig ist. Ein Ort wo verschiedene Senioritätsebenen aufeinander treffen und wo man die Möglichkeit hat, zu erfolgreichen Leuten aufzuschauen und ehrgeizige Ziele anzustreben. Das hat mir auch geholfen, meine persönlichen Unsicherheiten zu überwinden. Auch wenn ich jetzt bestimmte Titel habe und manche Leute mich vielleicht als einschüchternd empfinden, bin ich immer noch derselbe unsichere Mensch, der ich früher war. Inzwischen habe ich jedoch gelernt  und daran gearbeitet, diese Unsicherheiten zu überwinden, meine Kompetenzen zu entwickeln und herauszufinden, was ich wirklich gut kann. Bis zu diesem Punkt haben mir viele Menschen geholfen. Auch wenn ich diese Hürden eigenständig überwinden musste, wäre ich ohne ein Umfeld, in dem ich mich mit Menschen austauschen kann, verloren gewesen. Und deshalb - um auf die Max Planck Schools zurückzukommen - sind institutionalisierte Mechanismen, wie z. B. Dissertationsbeiräte, so wichtig, weil mehr als eine Person auf deine Arbeit schaut und du von herausragenden Persönlichektien umgeben bist, die dir tatsächlich helfen wollen. Und genau das machen die Max Planck Schools wirklich ausgezeichnet und das sogar auf interdisziplinärer Ebene. Die Studierenden haben es anfangs vielleicht schwerer, weil sie sich mit mehr als einem Fach befassen müssen, dennoch werden sie verschiedene Umgebungen kennen lernen. Und das sollte man nicht als Nachteil oder gar Hürde sehen, sondern als Chance, denn man reift somit viel mehr als jemand, der / die diese Art von Erfahrungen nie gemacht hat.

 

CWS: Im Jahr 2020 haben Sie beschlossen, als Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft eine führende Rolle im Wissenschaftsmanagement zu übernehmen. Wie bringen Sie diese Rolle mit ihrer Forschungen unter einen Hut, und was treibt Sie an?

AA: Nun, leider gibt es hier keine wirkliche Balance. Die Aufgabe als Vizepräsidentin dominiert meinen Alltag und damit auch meine Arbeit im Labor. Jedes Mal, wenn ich etwas Zeit im Labor verbringen kann, ist das ein Segen für mich. Das Labor ist wirklich mein Rettungsanker. Sie fragen sich vielleicht, warum ich die Rolle des Vizepräsidenten überhaupt übernommen habe und ob ich sie gerne mache. An dieser Stelle muss ich sagen, dass man hierfür seine Leidenschaft neu ausrichten muss: Als ich im Labor war, wollte ich, dass mein Team glänzt und Erfolg hat; jetzt, als Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft, möchte ich, dass die Institute erfolgreich sind und glänzen. Denn wenn dies gelingt, verhilft das der gesamten Max-Planck-Gesellschaft zu Erfolg und einer positiven Wahrnehmung. Das ist also mein Antrieb und die Leidenschaft hinter dieser Aufgabe: ein Amt zu übernehmen, das zum kollektiven Erfolg unserer Organisation beiträgt.

 

CWS: Sie würden also sagen, dass die Wissenschaft immer noch der Motor, auch bei Ihren Managementaufgaben, ist?

AA: Natürlich, und das ist das Schöne daran, Vizepräsidentin zu sein, man arbeitet an der Schnittstelle von Wissenschaft und Management. Und da ich mich für meine eigene Wissenschaft begeistere, kann ich mich auch für die Wissenschaft anderer begeistern. Das ist die beste Belohnung. Ehrlich gesagt ist es ein Privileg, als Vizepräsident für eine Organisation wie Max Planck zu arbeiten: Jeden Tag ist man von hervorragenden Menschen umgeben. Es gibt keinen Job auf der Welt, der mit der Wissenschaft in der Max-Planck-Gesellschaft vergleichbar ist, und anderen diese Möglichkeit zu bieten, ist einfach fantastisch.

 

CWS: Eine aktuelle Studie der "Initiative Chefsache"[1] hat gezeigt, dass sich die heutige Generation langfristig nicht mehr in Führungspositionen sieht. Was ist Ihrer Meinung nach notwendig, damit Führungspositionen in der Wissenschaft für junge Menschen attraktiv bleiben oder wieder attraktiv werden?

AA: Meiner Meinung nach müssen wir ein Umfeld schaffen, in dem sich Einzelne entfalten können - sowohl für diejenigen, die eine Führungsposition übernehmen wollen, als auch für diejenigen, die das nicht wollen. Es ist nicht einfach, herauszufinden, welcher Typ man ist. Wenn man sich also einer bestimmten Aufgabe nicht aussetzt, wird man nie erfahren, ob man gut darin ist oder nicht. Deshalb möchte ich junge Talente, vor allem an den Max Planck Schools, ermutigen, kleine Aufgaben zu übernehmen; zum Beispiel eine Veranstaltung zu organisieren oder eine Arbeitsgruppe zu leiten. So kann man herausfinden, ob das einem liegt oder nicht. Und natürlich macht der Erfolg Lust auf mehr, so dass Ausprobieren neuer Dinge dabei hilft, die eigene Stärken und Schwächen zu erkennen. Für mich ist es auch völlig in Ordnung, wenn jemand keine Führungsposition übernehmen will. Nicht jede:r kann oder will dies tun - das sollten wir akzeptieren. Aber wir sollten auch dafür sorgen, dass ein Umfeld geschaffen wird, in dem Menschen, die eine Führungsposition anstreben, ihr Potenzial voll ausschöpfen und entfalten können. Und wir sollten unsere Führungskräfte zugänglicher und greifbarer machen. In dieser Hinsicht ist es ein Privileg und eine große Chance, Teil einer Max Planck School zu sein, an der man ein solches Umfeld bereits vorfindet.

 

Das Interview mit Asifa Akhtar führte Christiane Walch-Solimena, die in der Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft in München die Abteilung Wissenschaftspolitik und Strategie leitet.

 
[1] Halbjährliche, repräsentative Berufseinstiegsbefragung der "Initiative Chefsache": Siegl, Hanna (2022): Studie der Initiative Chefsache: Mehr als 80% der Beschäftigten finden, dass Männer und Frauen nicht die gleichen Karrierechancen haben. Abgerufen am: 23.06.2022, von https://initiative-chefsache.de/content/uploads/2022/05/220525_Pressemitteilung-Report.pdf.

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